Kein Verfall von Urlaub nach EuGH
EuGH Entscheidung
Nach einer aktuellen Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) ist Arbeitnehmern – ohne Beschränkung – der gesamte nicht konsumierte Urlaub bei Beendigung des Dienstverhältnisses auszubezahlen, wenn ihnen (etwa weil der Arbeitgeber von einer selbständigen Tätigkeit und nicht von einem Dienstverhältnis ausgegangen ist) kein bezahlter Urlaub gewährt worden ist.
In der Rechtssache „King“ (C-214/16) setzte sich der EuGH mit einem britischen Fall eines „Scheinselbstständigen“ auseinander, der nach Beendigung seines Vertragsverhältnisses genommenen, aber nicht bezahlten, sowie nicht genommenen Urlaub der Gesamtvertragsdauer von über 13 Jahren vergütet haben wollte. Herr King war entgegen der Bezeichnung im Vertrag nicht als Selbstständiger, sondern als Arbeitnehmer beschäftigt und hätte somit bezahlten Urlaub beziehen dürfen, was ihm von seinem Arbeitgeber verweigert wurde.
Lage in Österreich
Auch in Österreich sind Fälle dieser Art nicht selten, in denen eine Person vermeintlich als Selbstständiger, freier Dienstnehmer oder Werkvertragsnehmer beschäftigt wird, aber nach geltendem Recht Arbeitnehmer ist. Im Falle der Feststellung eines Dienstverhältnisses sind Nachzahlungen des Arbeitgebers (Sozialversicherungsbeiträge, Steuern sowie Ansprüche des Arbeitnehmers) zu erwarten. Offener Urlaub ist auszuzahlen.
Urlaubsansprüche von Arbeitnehmern haben nach derzeitigem österreichischen Recht eine Verjährungsfrist von zwei Jahren nach Ablauf des jeweiligen Urlaubjahres. Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses können nur nicht verjährte Ansprüche geltend gemacht werden.
Sind nun Urlaubsansprüche eines Arbeitnehmers verjährt, der von seinem Arbeitgeber nicht die Möglichkeit bekam, bezahlten Urlaub nehmen zu können, ist dies unvereinbar mit der Rechtsprechung des EuGH.
Anpassung der Rechtslage
Das Recht der Mitgliedstaaten soll mit dem Gemeinschaftsecht der Europäischen Union harmonisieren. Soweit dies möglich ist, kann das innerstaatliche Recht unionskonform ausgelegt werden. Nationales Recht wird durch entgegen stehendes "Primärrecht" (Gründungsverträge und Grundrechtecharta) verdrängt. Bedarfsweise muss das innerstaatliche Recht angepasst werden.
Im konkreten Fall wären grundsätzlich alle drei Möglichkeiten denkbar. Im Zweifel wäre aber eine Anpassung des innerstaatlichen Urlaubsrechts vorzuziehen, um eine allfällige Staatshaftung Österreichs, die im Falle einer Schadenszufügung von betroffenen Arbeitnehmern durch eine fehlerhafte Umsetzung von Unionsrecht angestrebt werden könnte, auszuschließen.
(Das ist die gekürzte Form eines Artikels von mir, der am 12.12.2017 in der Tageszeitung „Der Standard“ erschienen ist.)
http://derstandard.at/2000069945373/Auszahlen-von-Urlaubsanspruch-Oesterreich-muss-nachbessern