"Der Zwölfstundentag"
Am 01. September 2018 ist die vom Nationalrat ohne Durchführung eines Begutachtungsverfahrens beschlossene Arbeitszeitrechts-Novelle in Kraft getreten. Diese sehr weitreichenden gesetzlichen Änderungen haben massive Proteste hervorgerufen. Als langjährig im Arbeitsrecht (sowohl auf Arbeitnehmer- als auch auf Arbeitgeberseite) tätiger Rechtsanwalt habe ich folgende Anmerkungen dazu:
Flexibilisierung der Arbeitszeit
Das Bedürfnis der Wirtschaft, die tägliche Höchstarbeitszeit von 10 Stunden bzw. die wöchentliche Höchstarbeitszeit von 50 Stunden in Ausnahmefällen überschreiten zu dürfen, ist verständlich. Dies war bereits bisher (eben in Ausnahmefällen) möglich und zulässig. Selbst eine „Viertage-Woche“ wäre bisher (wenn auch nur bis zu einer täglichen Höchstarbeitszeit von 10 Stunden) möglich gewesen. Die Meinungen darüber, ob all diese Ausnahmebestimmungen ausreichend waren, mögen auseinandergehen. Der Gesetzgeber hat aber bisher aus gutem Grund davon Abstand genommen, Überschreitungen der Höchstarbeitszeit generell zuzulassen.
Schutzzweck des Arbeitsrechts
Die österreichische Arbeitsrechtsordnung ist (ebenso wie bspw. das Mietrechtsgesetz oder das Konsumentenschutzgesetz) zum Schutz von sozial Schwächeren (in diesem Fall der ArbeitnehmerInnen) gedacht und enthält daher zahlreiche zwingende gesetzliche Bestimmungen. Grund dafür ist, dass es im Arbeitsleben typischerweise nur formal gleichgestellte Vertragspartner gibt, während aufgrund wirtschaftlicher und persönlicher Abhängigkeit der ArbeitnehmerInnen Vertragsbedingungen (aber auch die Ausgestaltung des Arbeitsalltages) überwiegend vom Arbeitgeber bestimmt werden können. Aus diesem Grund kann auch das Arbeitszeitrecht nicht ohne weiteres der „Privatautonomie“ überlassen werden, sondern muss der Gesetzgeber zwingende Regeln zum Schutz der ArbeitnehmerInnen aufstellen. Das Problem dabei ist natürlich, dass es gerade hinsichtlich der Arbeitszeit durchaus sehr unterschiedliche Bedürfnisse und Interessenlagen (nicht nur im Verhältnis zwischen ArbeitnehmerInnen und ArbeitgeberInnen, sondern auch innerhalb dieser Gruppen) gibt. Das Bedürfnis, den jeweiligen Individualinteressen gerecht zu werden (und gewisse Flexibilisierungen zuzulassen) steht hier im Spannungsverhältnis zu notwendigen Schutzvorschriften durch generell-abstrakte Normen. Das bisherige Arbeitszeitrecht hat versucht, die wechselseitigen Interessen durch ein Zusammenwirken von gesetzlichen Bestimmungen und Ermächtigungen an Kollektivvertrag, Betriebsvereinbarung und Einzelvertrag zu berücksichtigen.
"Freibrief" an den Arbeitgeber!
Nach der nunmehr in Kraft getretenen Novelle des Arbeitszeitgesetzes wird es – zumindest faktisch – den ArbeitgeberInnen überlassen sein, nach eigenem Ermessen die tägliche / wöchentliche Höchstarbeitszeit im Falle von Überstunden auf 12 / 60 Stunden auszudehnen („Freiwilligkeit“ ist im Arbeitsleben oft nur graue Theorie!). Die Begrenzung durch den Durchrechnungszeitraum von 17 Wochen bewirkt hier lediglich, dass diese Grenze von 48 Stunden im Durchschnitt nicht überschritten werden darf. So könnte bspw. an 8 Wochen hintereinander eine wöchentliche Arbeitszeit von 60 Stunden angeordnet werden, wohingegen dann in weiteren 9 Wochen 36 Stunden zulässig wären. Die Vereinbarkeit von Berufs- und Privat- bzw. Familienleben wird dabei in vielen Fällen eine große Herausforderung sein. Dazu kommt noch die Zunahme der physischen und psychischen Belastung, die sich gerade bei älteren und gesundheitlich schwächeren ArbeitnehmerInnen manifestieren wird. Die Novelle sieht darüber hinaus noch Erhöhungen der Normalarbeitszeit bei Gleitzeit (die in vielen Fällen zu geringeren Überstundenzuschlägen führen werden) und weitere Ausnahmen von der Wochenend- und Feiertagsruhe vor.
Suche nach ausgewogenen Lösungen
Wenn man als Gesetzgeber schon nicht die Sozialpartner im Zuge eines Begutachtungsverfahrens einbindet, dann sollte man zumindest versuchen, eine ausgewogene Lösung zu finden. Gerade das ist hier aber nicht erfolgt: Das, was jetzt vorliegt, ist eine Ermächtigung an den Arbeitgeber, das Ausmaß der Arbeitszeit mehr oder weniger ausschließlich nach seinen Bedürfnissen auszudehnen – ohne dem Schutzzweck des Arbeitsrechts gerecht zu werden. Jene Arbeitgeber, die sich ihrer sozialen Verantwortung bewusst sind, werden damit behutsam umgehen – aber was ist mit den anderen? Egal ob es um einzelne Unternehmen oder die Volkswirtschaft eines Landes geht: Langfristig sind nur Lösungen gut, bei denen die Bedürfnisse aller Betroffenen angemessen berücksichtigt werden.
Fotos: https://freestocks.org