Neue EBR-Richtlinie: Mehr Rechte für Europäische Betriebsräte

Neue EBR-Richtlinie: Mehr Rechte für Europäische Betriebsräte

Nachdem die Europäische Kommission im Jänner 2024 einen Vorschlag zur Änderung der Europäischen Betriebsräte-Richtlinie (RL 2009/38/EG) vorgelegt hatte, hat (nach Befassung des Ausschusses für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten des Europäischen Parlaments und entsprechenden Diskussionen zwischen den europäischen Arbeitgeber- und Gewerkschaftsverbänden) nunmehr der Rat der Europäischen Arbeits- und Sozialminister in einer Sitzung in Luxemburg am 20.06.2024 für eine Änderung der RL gestimmt. Der vorliegende Entwurf ist Grundlage weiterer Verhandlungen im Gesetzgebungsprozess.

EBR-Richtlinie

Die EBR-Richtlinie regelt die Informations- und Anhörungsrechte von ArbeitnehmerInnen in multinationalen Unternehmen innerhalb der EU. Sie wurde erstmals im Jahr 1994 (RL 94/45/EG) beschlossen, um sicherzustellen, dass ArbeitnehmerInnen über relevante Unternehmensentscheidungen mit grenzüberschreitenden Auswirkungen informiert und angehört werden. Eine Überarbeitung dieser Richtlinie führte zur derzeit geltenden RL 2009/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Mai 2009. Umgesetzt wurde die Richtlinie in verschiedenen Gesetzen der Mitgliedsstaaten (in Österreich in den §§ 171 bis 207 des Arbeitsverfassungsgesetzes – ArbVG).

Geplante Änderungen

Im vom Ausschuss der Ständigen Vertreter an den Rat übermittelten Entwurf vom 10.06.2024 finden sich folgende wesentliche Änderungen der EBR-Richtlinie:

  • Beteiligung bei Umstrukturierungen: Hier soll der Begriff „länderübergreifende Angelegenheiten“ (Zuständigkeit des Europäischen Betriebsrates) klarer formuliert werden. Künftig soll es ausreichen, dass „nach vernünftigem Ermessen davon auszugehen ist“, dass eine Maßnahme Arbeitnehmer in mehr als einem Mitgliedstaat treffen (Art 1 Abs 4).
  • Geschlechterquote: Sowohl bei der Zusammensetzung des „besonderen Verhandlungsgremiums“ als auch bei jener des Europäischen Betriebsrates soll ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis erreicht werden (Art 5 Abs 2 Buchstabe b; Art 6 Abs 2a). Frauen und Männer sollen jeweils mindestens 40% der Mitglieder des Europäischen Betriebsrates und des engeren Ausschusses ausmachen (Art 6 Abs 2a).
  • Anforderungen an Vereinbarung: In der Vereinbarung über einen Europäischen Betriebsrat ist hinkünftig auch das „Format“ der Sitzungen (virtuell oder Präsenzsitzung) festzulegen (Art 6 Abs 2 Buchstabe d). Weiters haben die für den Europäischen Betriebsrat beizustellenden Mittel zumindest die mögliche Inanspruchnahme von Sachverständigen, einschließlich Rechtsexperten, und die Bereitstellung relevanter Schulungen zu enthalten (Art 6 Abs 2 Buchstabe f).
  • Vertraulichkeit: Vertraulichkeitserfordernisse (idS, dass von der zentralen Leitung übermittelte Informationen von den Organen der Europäischen Betriebsverfassung und von Sachverständigen nicht an Dritte weitergegeben werden dürfen) müssen von der zentralen Leitung klar begründet werden (Art 8 RL). Dasselbe gilt für nach mitgliedsstaatlichen Vorschriften in besonderen Fällen nicht zu übermittelnde Informationen (Art 8a).
  • Rechtzeitige Anhörung: Bevor eine Entscheidung getroffen wird, hat die Anhörung des EBR zu einem Zeitpunkt und in einer Weise zu erfolgen, die es den Arbeitnehmervertretern ermöglicht, innerhalb einer angemessenen Frist ihre Stellungnahme abzugeben; diese haben sodann – ebenfalls, bevor eine Entscheidung getroffen wird – Anspruch auf eine begründete schriftliche Antwort (Art 9 Abs 3).
  • Rolle und Schutz der Arbeitnehmervertreter: Hinsichtlich des den Arbeitnehmervertretern im Rahmen der Europäischen Betriebsverfassung zu gewährenden Schutzes (der mit jenem für „lokale“ Arbeitnehmervertreter des Beschäftigungsstaates gleichwertig sein muss) wird nunmehr ausdrücklich festgehalten, dass dieser auch einen Schutz vor Repressalien und Entlassung zu umfassen hat (Art 10 Abs 3). Sowohl die Mittel für notwendige Information der „lokalen“ Arbeitnehmervertreter bzw der Belegschaft durch die Mitglieder des Europäischen Betriebsrates als auch die Kosten für Schulungen (wenn die zentrale Leitung im Voraus darüber unterrichtet wurde) sind von der zentralen Leitung bereitzustellen bzw zu tragen (Art 10 Abs 2 und 4).
  • Verfahren, Sanktionen: Die Mitgliedsstaaten müssen angemessene Verfahren zur Verfügung stellen, damit die sich aus der Richtlinie ergebenden Rechte und Pflichten „wirksam“ durchgesetzt werden können. Weiters müssen „wirksame, abschreckende und verhältnismäßige Sanktionen verhängt werden“ und sind bei Verstößen gegen Art 9 Abs 2 und 3 (rechtzeitige Unterrichtung und Anhörung) Gelstrafen vorzusehen (Art 11 Abs 2). Die Mitgliedsstaaten haben „wirksamen Zugang“ zu Gerichts- bzw Verwaltungsverfahren zu gewährleisten; dabei sind „angemessene Kosten für Rechtsvertretung und Teilnahme an solchen Verfahren“ von der zentralen Leitung zu tragen bzw sind andere Maßnahmen zu ergreifen, um „de facto Einschränkungen eines solchen Zugangs aufgrund mangelnder finanzieller Ressourcen zu vermeiden“ (At 11 Abs 3a).
  • Übergangsfrist und Anpassung bestehender EBR-Vereinbarungen: Die neuen Anforderungen gelten grundsätzlich für alle bereits bestehenden EBR-Vereinbarungen. Falls diese Anforderungen noch nicht erfüllt sind, müssen die Vereinbarungen innerhalb von zwei Jahren angepasst bzw neu verhandelt werden. Scheitern solche Verhandlungen, gelten die in Anhang I zur RL festgelegten „subsidiären Vorschriften“.

Nächste Schritte im Gesetzgebungsprozess

Der nächste Schritt ist, dass die Änderungsvorschläge im Europäischen Parlament beraten werden. Werden diese angenommen, können Verhandlungen im „Trilog“ beginnen (Vermittlungsausschuss zwischen den drei gesetzgebenden Institutionen der EU – Europäische Kommission, Parlament und Ministerrat).

Foto: https://freestocks.org